DAS SCHEMA VON J. C. ECCLES MIT ERGÄNZUNGEN


Die Aufstellung der Gehirnleistungen, die der Hirnforscher J. C. Eccles zusammengestellt hat, wird in Abbildung Nr. 1 wiedergegeben. Sie gibt die linke Gehirnhemisphäre als dominant an, weil sie Bewusstsein besitzt. Das Bewusstsein erstreckt sich auf die Fähigkeiten, Einzelheiten zu erfassen, begriffliche Ähnlichkeiten zu erkennen, Analyse durchzuführen, sich mathematisch zahlenmässig (arithmetisch) und algorithmisch (computerhaft) zu verhalten. Die rechte Gehirnhemisphäre hat in diesem Schema kein Bewusstsein und (fast) keine Sprache. Sie ›vernimmt‹ (musikalisch), hat Bild-/Musterempfindung, erkennt gestalthaft visuelle Ähnlichkeiten und holistische Bildhaftigkeit, fasst Zeit zusammen, statt sie zu teilen (Uhr) und stellt räumliche Gebilde (geometrisch) her. Die rechte Hemisphäre ist der linken untergeordnet.


Abbildung Nr. 1

  Lesen Sie auch die kleingedruckten Angaben aufmerksam. Sie erhellen den Sinn des folgenden Textes.




Mit der Erwähnung der Hirnforscher Sperry und Levy-Agresti verbindet Eccles den Hinweis auf ›neue begriffliche Entwicklungen‹. Er spricht nicht von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hier ist das Bezeichnungsproblem benannt. Aus diesem Hinweis leiten die Vorarbeiten zum KONSTANZER MODELL die Berechtigung ab, begriffliche Ergänzungen vorzunehmen. Eine geisteswissenschaftliche Betrachtung vermisst, dass das Eccles-Schema, die herrschende Meinung wiedergebend, der rechten Hemisphäre kein Bewusstsein zuspricht. ›Keine derartige Verbindung‹ wird so verstanden, dass die Leistungen der Rechtshemisphäre, da ohne Bewusstsein, gegenüber denen der Linkshemisphäre als untergeordnet (subdominant) gelten müssen. Holistische geistige Leistungen können jedoch gegenüber den computerhaften Fähigkeiten Eigenständigkeit beanspruchen. Daher brauchen sie ein Bewusstsein aus eigenem Recht, das als gleichwertig anzuerkennen ist. Ein solches Bewusstsein muss begrifflich definiert werden. Das computerhaft algorithmisierende Denken, das sich binär rational (ratio, Verstand) verhält, muss um ein nichtcomputerhaftes Denken erweitert gedacht werden. Rechenhaftes Bewusstsein, das Denkvorgänge bestimmt, wird hier ›digitalistisch‹ genannt. Nichtrechenhaftes Bewusstsein, das sich adigitalistisch und damit variant verhält, wird als ›mentisch‹ (mens, Vernunft) bezeichnet. Verstand (reason) und Vernunft (mind) werden auseinandergehalten. Der Ausdruck ›mentisch‹ besetzt eine begriffliche Leerstelle. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff mental, der den Bereich des Geistes in Verbindung mit dem der Psyche betrifft.


Abbildung Nr. 2 zeigt sprachliche Veränderungen, die die Tabelle von Eccles erweitern.


Abbildung Nr. 2

Am Ende seiner ›Abhandlung für Hörer aller Fakultäten‹ behandelt Eccles die Verbindung der differenten geistigen Fähigkeiten. Er bezeichnet sie als komplementär und benennt damit ihre sich ergänzende Zusammengehörigkeit. Wie ergibt sich diese Ergänzung? Wie ist sie bei den einzelnen Individuen angelegt? Auf welche Weise gewinnt eine Bewusstseinsstruktur im individuellen Fall Vorrang oder sogar Übergewicht?


Die Neurostrukturtheorie nimmt für das Zustandekommen der Komplementarität der geistigen Leistungen eine Gehirnregion in Anspruch, die eine Verbindung von rationalem Linkshirndenken und mentischem Rechtshirndenken gedanklich ermöglicht. Dafür wird das Corpus callosum, auch Balken, ausgemacht, das die getrennten Gehirnhemisphären stützend zusammenhält. Neurostrukturtheoretisch werden die geistigen differenten Hemisphärenleistungen durch das Balkenareal komplementär verbunden. Die Verbindung ergibt das Gesamtbewusstsein. Die Abbildung Nr. 3 veranschaulicht die Hypothese.


In Abbildung Nr. 3 wird das Schema der geistigen Leistungen der Gehirnhemisphären in einen Halbkreis, bestehend aus zwei Segmenten, umgewandelt. Die dominant genannten Leistungen erscheinen in dem dunkelgrauen, die als subdominant bezeichneten, in dem hellgrauen Segment. Das Corpus callosum ist als Verbindungsbalken eingefügt.


Abbildung Nr. 3


  Stellen Sie sich Ihre beiden Hemisphären vor und verbinden Sie sie durch ein Zwischenglied. Schliessen Sie Ihre Augen. Sie verinnerlichen damit die Abbildung. Diese geistige Leistung wird videtisieren1 genannt.







Kernpunkte:

1. Die geistigen Leistungen des Gehirns werden um weitere Definitionen ergänzt.


2. Hypothetisch wird das Corpus callosum als Gehirnareal betrachtet, das für das Zusammenwirken, die Komplementarität der Gehirnhemisphären und deren Leistungen, eine wesentliche Rolle spielt.


3. Die Aufforderung zur Verinnerlichung des Gehirnschemas wird in der ersten neurostrukturellen Gedankenübung, Aktivation genannt, ausführlicher beschrieben.





1 Die Verben für das innere Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und das Tastempfinden haben eigene neurostrukturelle Bezeichnungen erhalten. Die neugebildeten Verben verdeutlichen den Herstellungscharakter des vorstellenden Denkens.

inneres Sehen: videtisieren

inneres Hören: auditivieren

inneres Riechen: odorifizieren

inneres Schmecken: gustofizieren

inneres Tast-/ Bewegungsempfinden: kinästhesieren
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